Besondere Beratungspflichten beim Wechsel von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung

OLG Hamm · Urteil vom 24. Juni 2015 · Az. 20 U 116/13

Entscheidung:

Die Beklagten haften dem Kläger gesamtschuldnerisch für den Schaden gem. § 63 VVG, der ihm durch eine Verletzung der Pflichten, anlässlich eines Wechsels aus der gesetzlichen hin zur privaten Krankenversicherung, aus den §§ 60, 61 VVG entstanden ist.

Fall:

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche (angefallene Mehrkosten) des Klägers aus einer vom Kläger geltend gemachten Falschberatung durch die Beklagten im Rahmen eines Wechsels von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre alt und Zeit seines Lebens in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert gewesen. Er arbeitete nach mehrjähriger Arbeitslosigkeit im 3. Berufsjahr freiberuflich als selbständiger, gesetzlicher Betreuer.

Im Rahmen der Beratungsgespräche bei der Beklagten zu 1) wurde auch das Thema eines Wechsels des Klägers in die private Krankenversicherung angesprochen. Im Anschluss an die Beratungsgespräche kündigte der Kläger seine Mitgliedschaft in der GKV und schloss mit der Beklagten zu 2) einen Versicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn ab dem 01.03.2009 zu einem monatlichen Beitrag i.H.v. 484,38 € für den Normaltarif sowie die Tarife PS 2 und KH 50 ab. Weiterhin schloss der Kläger eine Rentenversicherung ab.

Von den Gesprächen wurde eine Beratungsdokumentation gefertigt, in der an verschiedenen dafür vorgesehenen Stellen Beratungspunkte angekreuzt wurden, insbesondere, dass Gesprächsanlass eine personenbezogene Versicherung sei und dass Altersvorsorge, private Absicherung im Krankheitsfall und Deckung der Bestattungskosten Wünsche und Ziele des Kunden seien.

Der Kläger ist der Ansicht es liege eine Pflichtverletzung wegen einer aus seiner Sicht durch die Beklagte zu 1) erfolgten Falschberatung im Zusammenhang mit dem Wechsel in die PKV vor.

Der Kläger hat behauptet, im Zuge der Beratung über die Altersvorsorge wurde auch die Möglichkeit des Abschlusses einer privaten Krankenversicherung angesprochen. Er sei skeptisch gewesen, ob es für ihn dauerhaft möglich sein würde, aus seinem Einkommen die Beiträge für die private Krankenversicherung aufzubringen; insbesondere im Hinblick auf seine niedrige Rente. Diese Bedenken wurden zerstreut mit dem Hinweis, dass die Beklagte zu 2) ihre Beiträge 7 Jahre nicht erhöht habe, dass Beitragssteigerungen jedoch sowohl in der PKV als auch der GKV wegen der allgemeinen Teuerung wahrscheinlich seien. Sie habe erklärt, es bestehe jederzeit die Möglichkeit, in den Basistarif zu wechseln, dessen Beitrag niedriger sei als der Normaltarif der PKV. Der Beitragssatz für den Basistarif belaufe sich auf etwa 50% des Beitragssatzes der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ihm sei es sowohl auf eine verbesserte Leistungsstruktur seiner Krankenversicherung angekommen als auch darauf, einen bezahlbaren Versicherungsschutz im Alter zu bekommen; seine privaten Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien den Beklagten bekannt gewesen. Aufgrund der Beratung sei der Eindruck entstanden, mit dem Wechsel in die PKV seien keine Nachteile verbunden und insbesondere sichergestellt, dass er auf keinen Fall höhere, eher niedrigere Beiträge als bei einem Verbleib in der GKV zahlen müsse.

Außerdem genüge das Beratungsprotokoll nicht den gesetzlichen Anforderungen. Es lasse sich dem Protokoll weder etwas über den Inhalt des Gespräches, noch die geäußerten Bedenken hinsichtlich eines Wechsels in die PKV, noch ob eine Aufklärung über die mit einem Wechsel verbundenen erheblichen Risiken erfolgt sei, entnehmen.

Wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden, hätte er sich im Hinblick auf seine finanziellen Verhältnisse im Alter nicht zu einem Wechsel von der GKV in die PKV entschlossen.

Wegen fehlender Rückkehrmöglichkeit in die GKV sei er ab dem Renteneintritt im Jahre 2017 deutlich höheren Beitragsbelastungen ausgesetzt, die durch Beitragsersparnisse bis zum Renteneintrittsalter nicht ausgeglichen seien.

Die Beklagten waren der Ansicht, eine Beratungspflicht habe nicht bestanden. Über Risiken bezüglich der privaten Krankenversicherung sei der Kläger belehrt worden.

Gründe:

Die Beklagte zu 1) ist dem Kläger gem. § 63 VVG zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihm durch eine Verletzung der Pflichten der Beklagten zu 1) aus den §§ 60, 61 VVG entstanden ist.

Die Beklagte zu 1) ist als Versicherungsvermittlerin in Form einer Versicherungsvertreterin im Sinne von § 59 Abs. 1, Abs. 2 VVG für die Beklagte zu 2) tätig geworden. Als solche hatte sie den Kläger als Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass bestand, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der von der Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben, § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG.

Zu den Beratungspflichten gehört neben der Pflicht, Fragen des Versicherungsnehmers richtig zu beantworten, auch die Pflicht, über solche Punkte, die für den Abschluss des konkreten Vertrages üblicherweise von wesentlicher Bedeutung sind, in dem angesichts des Schutzbedürfnis des Versicherungsnehmers bei Abschluss des konkreten Vertrages erforderlichen Umfang ausreichend aufzuklären.

Dass die Beratung zutreffend und den Beratungsinteressen des Klägers entsprechend erfolgte, haben die Beklagten zu beweisen, da die Beklagte zu 1) ihren Beratungs- und Dokumentationspflichten gem. § 61 Abs. 1 VVG nicht nachgekommen ist. Zwar trägt die Beweislast für die Verletzung der Beratungspflichten grundsätzlich derjenige, der sich auf eine Beratungspflichtverletzung beruft, hier der Kläger. Bei nicht ordnungsgemäßer Dokumentation kann sich die Beweislast jedoch umkehren, so dass dem Versicherer bzw. dem Versicherungsvertreter die Beweislast für eine ordnungsgemäße Beratung zukommt. Eine solche Beweislastumkehr zum Nachteil der Beklagten zu 1) ist hier vorzunehmen, da die Beratungsdokumentation nicht den Vorschriften der §§ 61 Abs. 1 Satz 2, 62 Abs. 1 VVG genügt und somit eine ordnungsgemäße Dokumentation nicht gegeben ist. Der Beratungsdokumentation soll der wesentliche Gesprächs- und Beratungsinhalt entnommen werden können. Aus den eingereichten Beratungsunterlagen kann hingegen nicht einmal im Ansatz entnommen werden, wie eine Beratung des Klägers durch die Mitarbeiterin der Beklagten zu 1) erfolgte. Es sind lediglich einige der vorgegebenen Themen angekreuzt, ohne dass sich der Inhalt der Gespräche oder die Fragen, die geklärt wurden, erkennen lassen…Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation sind durch diese marginalen Inhalte nicht erfüllt.

Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass Kläger bei den Beratungsgesprächen in ausreichendem Umfang darüber beraten wurde, welche Konsequenzen und Risiken ein Wechsel in die private Krankenversicherung für den zum Zeitpunkt des Beratungsgespräches bereits 56jährigen Kläger, der keine Altersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung gebildet hatte und nur über eine kleine Rente verfügte, mit sich bringen konnte.

Zwar oblag den Mitarbeitern der Versicherungsvertreterin nur eine eingeschränkte Pflicht zur Bedarfsermittlung. Den Versicherungsvertreter trifft jedoch eine weitere Pflicht zu Beratung dann, wenn besondere Umstände hinzukommen. Solche besonderen Umstände waren hier schon dadurch gegeben, dass der Kläger -. gerade aufgrund der von den Mitarbeitern der Beklagten zu 1) vorgenommenen Beratung- die Absicht hatte, mit 56 Jahren erstmals in die private Krankenversicherung zu wechseln, obwohl sein ursprüngliches gegenüber der Beklagten zu 1) geäußertes Beratungsziel u.a. eine Verbesserung seiner privaten Altersvorsorge war. Es musste sich daher geradezu aufdrängen, dass der Kläger im Alter seine Beiträge -auch die Beiträge für den Basistarif- möglicherweise nicht mehr zahlen konnte. Daher wären die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) im vorliegenden Fall jedenfalls verpflichtet gewesen, den Kläger klar und unmissverständlich auf die für den Kläger bestehenden Nachteile eines Wechsels in die private Krankenversicherung hinzuweisen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat niemand den Kläger auf einen dieser Punkte hingewiesen. Es ist nach der Beweisaufnahme auch nicht ersichtlich, dass die Zeugin I3 den Kläger mehrfach darüber informiert hat, dass ein erneuter Wechsel in die GKV wegen seines Alters ausgeschlossen sei.

Diese Beratung war nicht nur unvollständig, sondern objektiv falsch. Zwar könnte der Kläger, da der Vertragsbeginn nach dem 01.01.2009 liegt, jederzeit in den Basistarif wechseln. Der Beitrag im Basistarif bemisst sich aber nicht nach der vom Kläger im der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlenden Leistung, sondern ergibt sich aus der Multiplikation des allgemeinen Beitragssatzes mit der jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung, zuzüglich des durchschnittlichen Zusatzbeitrags gemäß § 242a Abs. 2 SGB V. Durch die Information, der Basistarif betrage 50 % der gesetzlichen Krankenversicherung konnte für den Kläger der -falsche- Eindruck entstehen, dass der Basistarif sogar günstiger wäre als die von ihm -nach Eintritt in das Rentenalter- in der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlenden Beiträge.

Gerade im Hinblick auf die ausdrückliche Frage des Klägers, was denn passieren würde, wenn er seine Beiträge im Alter nicht mehr zahlen könne, die zeigte, dass der Kläger sich im Hinblick auf seine geringe Altersversorgung nicht sicher war, ob er den Wechsel in die private Krankenkasse vornehmen sollte, wären die Beklagten verpflichtet gewesen, den Kläger nicht nur umfassend und richtig über den Basistarif zu informieren, sondern auch auf die Gefahr hinzuweisen, dass Beitragsrückstände einen Wechsel in den Notlagentarif zur Folge haben könnten.

Unabhängig von dem Vorstehenden gilt, dass jedenfalls die ernste Gefahr erheblicher Prämiensteigerungen wegen fehlender Altersrückstellungen besteht und die Beklagte zu 1 den Kläger darüber nicht informiert hat. Dies allein ist ein erheblicher Beratungsfehler.

Die unzureichende bzw. falsche Beratung durch die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) war auch kausal für den Wechsel des Klägers in die private Krankenversicherung der Beklagten zu 2). Hierfür spricht schon die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Gerade im Hinblick auf die Nachfragen des Klägers und dessen geschildertes zögerliches Verhalten, aus dem ersichtlich ist, dass sich der Kläger mit einem Wechsel in die private Krankenversicherung ersichtlich schwer tat, steht zu vermuten, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Beratung von einem Wechsel abgesehen hätte.

Dies gilt auch für den unter erörtern Beratungsfehler. Der Kläger hat glaubhaft bekräftigt, dass er bei richtiger Aufklärung über diesen Punkt den Vertrag nicht geschlossen hätte.

Die Beklagten haben dem Kläger als Gesamtschuldner den Schaden zu ersetzen, der ihm durch die fehlerhafte Beratung entstanden ist.

Im Hinblick auf das Beratungsverschulden der Beklagten zu 1) liegt der Schaden des Klägers im Vertragsschluss mit der Beklagten zu 2), da der Kläger ohne die fehlerhafte Beratung der Beklagten zu 1) keinen Vertrag mit der Beklagten zu 2) abgeschlossen hätte und in der gesetzlichen Krankenversicherung- in die er aufgrund seines Alters als Selbständiger nach derzeitigem Stand nicht mehr ohne weiteres wechseln kann - verblieben wäre. Der Schaden des Klägers besteht "schon" in dem - durch unzureichende Beratung verursachten - Vertragsschluss.

Zwar ist der Vertragsschluss mit der Beklagten zu 2) für den Kläger - jedenfalls solange, wie dieser die Beiträge zur privaten Krankenversicherung zahlen könnte - auch mit einem verbesserten Krankenversicherungsschutz im Vergleich zu gesetzlichen Krankenversicherung verbunden. Dies kompensiert jedoch nicht die mit dem Vertrag für den Kläger verbundenen Nachteile, insbesondere die erheblichen Beitragsunterschiede nach Eintritt des Klägers in das Rentenalter.

Die Beklagten haben den Kläger rückwirkend zum Vertragsschluss so zu stellen, als hätte er nicht unter Kündigung seiner gesetzlichen Krankenversicherung eine private Krankenversicherung bei der Beklagten zu 2) abgeschlossen, sondern wäre weiter in der B Krankenkasse (heute eingegliedert in die B2) gesetzlich versichert.

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