Kündigung einzelner Tarife oder des gesamten Versicherungsverhältnisses - Wahlrecht!

Kündigt der Versicherer für einen einzelnen Tarif eines Krankenversicherungsvertrages eine Prämienerhöhung an, steht dem Versicherungsnehmer gemäß § 205 Abs. 4 VVG ein Wahlrecht zu, entweder den einzelnen von der Erhöhung betroffenen Tarif oder das gesamte Versicherungsverhältnis zu kündigen. Oberlandesgericht Bremen: Beschluss vom 06.02.2014 – 3 U 35/13

Fall:

Die Klägerin macht rückständige Beiträge aus einem Krankenversicherungsvertrag geltend.

Nachdem die Klägerin eine Beitragserhöhung anzeigte kündigte die Beklagte daraufhin den Versicherungsvertrag. Die Klägerin lediglich die Kündigung der Verdienstausfallversicherung und widersprach der Kündigung im Übrigen (weitere Versicherungen/ Tarife). Die Beklagte ist seit dem bei der [...] Krankenversicherung AG privat krankenversichert. Eine Bestätigung des Vertragsschlusses hatte die [...] AG der Beklagten übersandt.

Die Beklagte leistete gegenüber der Klägerin keine Prämienzahlungen. Es entstand ein Rückstand.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass nach der Ankündigung der Beitragsanpassung nur derjenige Versicherungstarif nach § 205 Abs. 4 VVG habe außerordentlich gekündigt werden können, der von der Anpassung betroffen gewesen sei. Dies sei vorliegend nur für die Verdienstausfallversicherung der Fall gewesen, nicht aber auch für die anderen mitversicherten Tarife.

Es handele sich auch nicht um einen einheitlichen Versicherungsvertrag, der eine Teilkündigung nicht zulasse.

Gründe:

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die geltend gemachten Versicherungsprämien aus dem zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsvertrag, weil der Beklagten ein außerordentliches Kündigungsrecht aus § 205 Abs. 4 VVG zusteht.

Nach § 205 Abs. 4 VVG kann der Versicherungsnehmer hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen innerhalb eines Monats nach Zugang der Änderungsmitteilung mit Wirkung für den Zeitpunkt kündigen, zu dem die Prämienerhöhung oder die Leistungsminderung wirksam werden soll, wenn der Versicherer aufgrund einer Anpassungsklausel die Prämie erhöht oder die Leistung vermindert.

Hinsichtlich des von der Klägerin angehobenen Tarifs bestand zwischen den Parteien kein gesondertes, von den übrigen Krankheitskostenversicherungen unabhängiges Versicherungsvertragsverhältnis. Es handelt sich bei dem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien rechtlich nicht um mehrere selbständige Verträge, sondern um ein einziges Vertragsverhältnis mit mehreren angewandten Tarifen. Zunächst spricht für das Vorliegen eines einheitlichen Rechtsverhältnisses der Umstand, dass die Beklagte zwar mit verschiedenen Tarifen versichert ist, die jedoch unter einer Versicherungsscheinnummer geführt werden. In der Regel spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Mehrzahl von Versicherungsscheinen auch auf eine Mehrzahl von Versicherungsverträgen schließen lässt, so dass umgekehrt bei nur einem Versicherungsschein ein einheitlicher Versicherungsvertrag vorliegt. Auch der Umstand, dass die Beklagte bei der Klägerin eine Vollkostenversicherung bezüglich ihres Krankenversicherungsschutzes abgeschlossen hat und alle Risikobereiche, die mit einer Erkrankung verbunden sind, in einer einzigen Vertragsurkunde abgedeckt sind, spricht gegen einen Parteiwillen, das Versicherungsverhältnis in mehrere selbstständige Vertragsverhältnisse aufzuteilen. Zudem gehen beide Parteien ausdrücklich von dem Vorliegen eines einheitlichen Vertrages aus, sie sind lediglich unterschiedlicher Auffassung, ob eine Teilkündigung zulässig ist. Der Klägerin ist auch zuzugeben, dass eine Teilkündigung des Versicherungsvertrages entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig ist. In § 205 Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 S. 1 VVG ist diese Möglichkeit für den Fall der ordentlichen Kündigung ausdrücklich aufgeführt. Auch im Rahmen des durch § 205 Abs. 4 VVG eingeräumten Kündigungsrechts wird dem Versicherungsnehmer - trotz Fehlens eines solchen ausdrücklichen Hinweises in dieser Vorschrift - dieses Recht nach wohl einhelliger Auffassung zugebilligt.

Zwar weist das Landgericht zutreffend darauf hin, dass § 205 Abs. 4 VVG ein Kündigungsrecht nur für die (mit)versicherte Person einräumt, die von der Prämienerhöhung betroffen ist. Hieraus ist aber gerade nicht zu schließen, dass eine Kündigung sich auch auf den von der Prämienerhöhung betroffenen Tarif beschränken muss. Denn der Gesetzgeber hat im Rahmen des § 205 VVG in den Absätzen 1 und 5 die Kündigungsmöglichkeit bezüglich einzelner Personen und Tarife jeweils ausdrücklich benannt, während in den Absätzen 3 und 4 allein die Beschränkung der Kündigung auf die betroffenen Personen geregelt ist. Damit ist lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ein Kündigungsrecht nicht weiteren, vom Vertrag erfassten Personen zugestanden wird. Zur Frage, ob sich die Kündigung der betroffenen Person auf den von der Prämienerhöhung betroffenen Tarif beschränken muss, enthält Abs. 4 hingegen keine ausdrückliche Regelung.

Deshalb gilt zunächst der dem Rechtsgedanken des § 139 BGB folgende allgemeine Grundsatz, dass die teilweise Kündigung eines einheitlichen Vertrages unzulässig ist. Allerdings wird in § 205 Abs. 1 und Abs. 5 VVG, wie oben dargelegt, davon abweichend sowohl dem Versicherer als auch dem Versicherten die Möglichkeit der Kündigung einzelner Tarife eingeräumt. Daraus jedoch zu schließen, dass der Versicherungsnehmer auf die Kündigung des einzelnen Tarifs beschränkt ist, erscheint nicht zulässig. Eine Untersagung der dem gesetzlichen Leitbild folgenden Kündigung des gesamten Vertrags würde einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürfen.

Dies gilt auch deshalb, weil die Beschränkung des Versicherungsnehmers auf ein Teilkündigungsrecht die Reaktionsmöglichkeit auf eine Prämienerhöhung oder Leistungsverminderung durch den Versicherer erheblich erschweren würde. Die Herauslösung einzelner versicherter Risiken bzw. Tarife aus dem Versicherungsvertrag durch Teilkündigung birgt die Gefahr, das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung zu beeinträchtigen. Der Versicherungsnehmer wäre zudem darauf angewiesen, einen vergleichbaren Tarif bei einem anderen Versicherer abzuschließen. Ob dies für den jeweiligen Tarif isoliert überhaupt möglich ist, kann durchaus fraglich sein. Ggf. muss der Versicherungsnehmer auch mit höheren Preisen oder sonst ungünstigeren Konditionen rechnen, wenn er nicht alle Risiken der Krankheit in einem Vertrag versichert.

Dieser Gefahr ist nicht dadurch zu begegnen, dass der Versicherungsnehmer dann den gesamten Versicherungsvertrag kündigen darf, wenn er für den von der Prämienerhöhung betroffenen Tarif keine wirtschaftlich gleichwertige Versicherung bei einem anderen Anbieter erhält, denn dies wird in der Praxis zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, da in vielen Fällen die Angebote und Tarife der zahlreichen Versicherungsunternehmen nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Zudem ist ein berechtigtes Interesse des Versicherungsnehmers anzuerkennen, ein alle Risiken der Krankheit absicherndes einheitliches Vertragsverhältnis zu unterhalten. Dieser Rechtsgedanke kommt auch in § 205 Abs. 5 VVG zum Ausdruck, der dem Versicherungsnehmer bei Teilkündigung des Versicherers ein Recht zur Kündigung des gesamten Vertrages einräumt. Damit soll der Versicherungsnehmer in die Lage versetzt werden, nicht den isoliert gekündigten Versicherungsschutz bei anderen Anbietern beantragen zu müssen, sondern umfassend gleichwertige Deckung nachzufragen.

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Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

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