BGH Urteil vom 24.02.2016 - IV ZR 142/15: Widerruf der Lebensversicherung auch bei Altverträgen möglich!

Der Fall:

Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin) begehrt von dem beklagten Versicherer Rückzahlung der geleisteten Versicherungsbeiträge einer kapitalbildenden Lebensversicherung nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

Diese wurde aufgrund eines Antrags des Versicherungsnehmers nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung abgeschlossen. Der Versicherungsnehmer zahlte in der Folge die Versicherungsprämien und erklärte dann u.a. den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Versicherungsvertrages. Der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Erneut erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. Nach seiner Auffassung ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Entscheidung:

Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB beseht. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

Begründung:

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer den Verischerungsnehmer nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Policenbegleitschreiben genügt den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht. Sie genügt inhaltlich nicht den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F., denn sie knüpft den Fristbeginn nur an den "Zugang dieses Briefes", nicht aber in unmissverständlicher Weise auch an den Erhalt des Versicherungsscheins, der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation.

Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Die Regelung muss richtlinienkonform so ausgelegt werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet. Für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung besteht grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fort, wenn der Versicherungsnehmer- wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen. Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Der Kläger hat das Recht zum Wiederspruch hier auch nicht verwirkt. Es fehlt jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Versicherer schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er der Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte.

Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen.

Fazit:

Alle Versicherungsnehmer, die nicht ausreichend oder fehlerhaft über ihre Rechte (insbesondere Widerspruch und Rücktritt) belehrt wurden, haben guten Chancen ihre gezahlten Beiträge nahezu komplett zurückzuerhalten….

Wie sollten sich Versicherungsnehmer verhalten?

Der Versicherungsnehmer sollte seine konkrete Belehrung von einem Anwalt überprüfen lassen und den Vertrag dann ggfls. von diesem widerrufen lassen,

bevor er die Police im Original zu seinem Versicherer schickt.

Nach unserer Erfahrung ist es zwecklos, dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, da Versicherungskunden dann zumeist nicht ernst genommen werden.

Was ist zu tun?                                    

Sofern Versicherungskunden bereits rechtsschutzversichert sind, benötigen wir für eine kostenfreie Abschätzung der rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten den

Versicherungsantrag und die

Police samt Begleitschreiben sowie Mitteilung über gezahlte

Prämien und

Versicherungsleistungen.

Sofern noch keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann hierfür eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden (BGH IV ZR 23/12), bevor Widerspruch oder Rücktritt ausgelöst werden.

Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

Rechtsanwalt Jens Reime
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