BGH vom 14.10.2015 – IV ZR 211/14: Prämienrückzahlung nach Widerspruch

Der Fall:

Der Kläger (Versicherungsnehmer) begehrt von dem beklagten Versicherer Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer kapitalbildenden Lebensversicherung. Diese wurde aufgrund eines Antrags des Klägers nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung abgeschlossen. 9 Jahre zahlte der Kläger Prämien ein und kündigte dann der Vertrag. Der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Daraufhin erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.

Nach Auffassung des Klägers ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil er nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt wurde und das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.

Entscheidung:

Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ist gegeben. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs des Versicherungsnehmers nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

Begründung:

Der Versicherer belehrte den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die im Versicherungsschein enthaltene Belehrung ist inhaltlich fehlerhaft, weil danach der Widerspruch "schriftlich" zu erheben ist. Mit Wirkung zum 1. August 2001 wurde § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr dahin geändert, dass der Widerspruch in "Textform" erfolgen kann. Die Textform stellt eine Erleichterung gegenüber der Schriftform dar. Es bedarf nicht mehr der traditionellen Schriftform, sondern eine Verkörperung in "Textform" ist ausreichend, d.h. es genügt, wenn die Erklärung in Textform lesbar gemacht werden kann.

Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. Die Regelung müsse so ausgelegt werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen. Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen.

Fazit:

Alle Versicherungsnehmer, die nicht ausreichend oder fehlerhaft über ihre Rechte (insbesondere Widerspruch und Rücktritt) belehrt wurden, haben guten Chancen ihre gezahlten Beiträge nahezu komplett zurückzuerhalten….

Wie sollten sich Versicherungsnehmer verhalten?

Der Versicherungsnehmer sollte seine konkrete Belehrung von einem Anwalt überprüfen lassen und den Vertrag dann ggfls. von diesem widerrufen lassen,

bevor er die Police im Original zu seinem Versicherer schickt.

Nach unserer Erfahrung ist es zwecklos, dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, da Versicherungskunden dann zumeist nicht ernst genommen werden.

Was ist zu tun?

Sofern Versicherungskunden bereits rechtsschutzversichert sind, benötigen wir für eine kostenfreie Abschätzung der rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten den

Versicherungsantrag und die

Police samt Begleitschreiben sowie Mitteilung über gezahlte

Prämien und

Versicherungsleistungen.

Sofern noch keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann hierfür eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden (BGH IV ZR 23/12), bevor Widerspruch oder Rücktritt ausgelöst werden.

Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

Rechtsanwalt Jens Reime
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