OLG Hamm vom 17.06.2015 – 20 U 56/14: Fehlerhafte Belehrung bringt bares Geld

Der Fall:

Der Kläger begehrt Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge aus Kapitallebensversicherung.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten den Abschluss einer Kapitallebensversicherung. Das Antragsformular enthielt hierbei oberhalb der Unterschriftszeile neben weiteren unterlegten Textpassagen folgenden Hinweis: "Ich kann dem beantragten Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen nach Aushändigung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation in Textform widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."

Die beigefügten Verbraucherinformationen lauten auszugsweise wie folgt: "Durch unsere Annahme Ihres Antrags kommt der Versicherungsvertrag zum Abschluß. Anschließend können Sie innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Überlassung der Verbraucherinformationen und der Versicherungsbedingungen dem Abschluß des Versicherungsvertrages widersprechen. Die Frist ist eingehalten, wenn Sie die Widerspruchserklärung innerhalb der genannten Zeit absenden, auch wenn sie uns erst nach Ablauf der Frist zugehen sollte. Voraussetzung für die Bindung an die Frist ist, daß wir Ihnen die Verbraucherinformationen und die Versicherungsbedingungen ausgehändigt sowie Sie über Ihr Widerspruchsrecht belehrt und Sie dies mit Ihrer Unterschrift bestätigt haben. Sollten Ihnen die Verbraucherinformationen und die Versicherungsbedingungen nicht ausgehändigt oder Sie von uns nicht entsprechend belehrt worden sein, besteht Ihr Widerspruchsrecht ohne Bindung an die 14tägige Frist; es erlischt dann ein Jahr nach Zahlung des Einlösungsbeitrags."

Übersandt wurden der Versicherungsschein und der Hefter mit einem zweiseitigen Begleitschreiben, auf dem es u.a. in Fettdruck heißt: "Sie können diesem Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Schreibens widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung einer Widerspruchserklärung in Textform (schriftlich oder in anderer lesbarer Form). Selbstverständlich werden wir Ihnen in diesem Falle bereits gezahlte Beiträge zurückerstatten."

Der Kläger zahlte 3 Jahre Beiträge und erklärte dann die Kündigung des Versicherungsvertrages erklärte. Die Beklagte zahlte in der Folgezeit einen Rückkaufswert aus. Der Kläger wiederum war weder mir der Höhe noch der Berechnung zufrieden und erklärte den Widerspruch gem. § 5a VVG in der geltenden Fassung.

Entscheidung:

Dem Kläger steht der geltend gemachte Bereicherungsanspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 BGB dem Grunde nach zu, da der Lebensversicherungsvertrag auf der Grundlage des § 5a VVG in der geltenden Fassung nicht wirksam zustande gekommen ist.

Begründung:

Die Bestimmung in § 5a VVG a.F. regelte den Vertragsschluss nach dem sog. Policenmodell…Der Widerspruch des Klägers ist rechtzeitig erfolgt, da der Kläger nicht im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. durch die Beklagte ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist.

Auf die in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierte Jahresfrist kommt es nicht an. Dies ergibt eine richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. Die Regelung findet danach keine Anwendung, so dass für die davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Der Lauf der Widerspruchsfrist hat gem. § 5a Abs. 2 VVG a.F. mangels ausreichender Belehrung des Klägers nicht begonnen. Denn keine der Belehrungen des Klägers durch die Beklagte genügt den gesetzlichen Anforderungen.

Offen bleiben kann, ob die Belehrung im Antragsformular den materiellen Anforderungen des § 5a Abs. 2 VVG a.F. genügt. Denn selbst eine formell und inhaltlich ausreichende Belehrung im Antrag ist nicht geeignet, die von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. vorgeschriebene Belehrung "bei Aushändigung des Versicherungsscheins" zu ersetzen.

Die Belehrung in den Verbraucherinformationen genügt bereits nicht den formellen Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. Es fehlt an der vorgeschriebenen Deutlichkeit der Belehrung, die sich in einer nicht zu übersehenden Weise aus dem übrigen Text hervorheben muss. Diese Voraussetzung der Deutlichkeit erfüllt die Belehrung nicht, weil die Belehrung einerseits nicht hervorgehoben ist und sie sich andererseits unterhalb der aufgeworfenen Frage nach einem Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers befindet, um das es aber nicht geht.

Auch die durch Fettdruck hervorgehobene Widerspruchsbelehrung in dem Policenbegleitschreiben genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht. Sie stellt nicht hinreichend klar, dass die Widerspruchsfrist erst nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren Verbraucherinformationen beginnt, sondern verweist für den Fristbeginn auf den "Zugang dieses Schreibens". Damit aber wird dem Empfänger nicht ausreichend verdeutlicht, dass es der Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen bedarf, um die Frist in Lauf zu setzen

Die vom Kläger vor Widerspruch erklärte Kündigung des Vertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen. Der Versicherungsnehmer, der über sein Widerspruchsrecht nicht ausreichend belehrt worden ist, kann sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerspruch nicht sachgerecht ausüben. Auch ein Erlöschen des Widerspruchsrechts kommt nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung nicht in Betracht, weil eine entsprechende Anwendung der Regelungen in den §§ 7 Abs. 2 VerbrKrG, 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG nach Außerkrafttreten dieser Gesetze nicht mehr möglich ist.

Auch einer Verwirkung des Rechts zum Widerspruch und einer Treuwidrigkeit der Ausübung dieses Rechts steht es entgegen, dass die Beklagte es versäumt hat, den Kläger ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht zu belehren. Eine Treuwidrigkeit kommt nur in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang durchführt und erst dann vom Versicherer, der auf den Bestand des Vertrages vertrauen durfte, unter Berufung auf die Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangt.

Auch aus dem Umstand, dass der Kläger die Rechte aus der Lebensversicherung zwischenzeitlich an die E AG zur Besicherung einer gegen ihn gerichteten Forderung abgetreten hatte, ergibt sich keine Verwirkung des Rechts zum Widerspruch.

Die Beklagte ist schließlich auch nicht zur dauerhaften Leistungsverweigerung gem. § 214 Abs. 1 BGB berechtigt. Denn der Anspruch des Klägers ist nicht gem. §§ 195, 199 BGB verjährt…

Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch des Klägers nicht uneingeschränkt alle Prämien. Der Versicherungsnehmer hat während der Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen. Es ist davon auszugehen, dass er diesen im Versicherungsfall in Anspruch genommen hätte. Mit Blick darauf führte eine Verpflichtung des Versicherers zur Rückgewähr sämtlicher Prämien zu einem Ungleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft der Versicherten. Daher muss sich der Kläger im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den Versicherungsschutz anrechnen lassen.

Demgegenüber kommt eine Anrechnung desjenigen Prämienanteils, der auf die Abschluss- und Verwaltungskosten entfallen ist, nicht in Betracht. Bei der vom Bundesgerichtshof verlangten gerechten Risikoverteilung darf nicht außer Betracht bleiben, dass der Versicherer durch ein ihm zuzurechnendes Fehlverhalten (unzureichende Widerspruchsbelehrung) wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Vertrag im Zustand schwebender Unwirksamkeit verblieben ist und nicht wirksam werden konnte.

Bei dieser Sachlage erscheint es nicht angemessen, den Versicherungsnehmer mit den Kosten für den (letztlich nicht wirksam zustande gekommenen) Vertragsabschluss und die Vertragsdurchführung zu belasten.

Der Kläger kann aber nur Nutzungszinsen verlangen, wenn tatsächlich Nutzungen gezogen wurden. Der Gewinn der Beklagten war dem Kläger bekannt.

Fazit:

Alle Versicherungsnehmer, die nicht ausreichend oder fehlerhaft über ihre Rechte (insbesondere Widerspruch und Rücktritt) belehrt wurden, haben guten Chancen ihre gezahlten Beiträge nahezu komplett zurückzuerhalten….

Wie sollten sich Versicherungsnehmer verhalten?

Der Versicherungsnehmer sollte seine konkrete Belehrung von einem Anwalt überprüfen lassen und den Vertrag dann ggfls. von diesem widerrufen lassen,

bevor er die Police im Original zu seinem Versicherer schickt.

Nach unserer Erfahrung ist es zwecklos, dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, da Versicherungskunden dann zumeist nicht ernst genommen werden.

Was ist zu tun?

Sofern Versicherungskunden bereits rechtsschutzversichert sind, benötigen wir für eine kostenfreie Abschätzung der rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten den

Versicherungsantrag und die

Police samt Begleitschreiben sowie Mitteilung über gezahlte

Prämien und

Versicherungsleistungen.

Sofern noch keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann hierfür eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden (BGH IV ZR 23/12), bevor Widerspruch oder Rücktritt ausgelöst werden.

Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

Rechtsanwalt Jens Reime
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